Sonntag, 19. Juni 2011

Tag 16, 18. Juni 2011, St.Bernardt nach St. Oyen, 20,5km

Hospice Grd. St. Bernard, 2Pers.im Doppelzimmer, HP 122,-CHF

War gestern in der Messe im Hospiz. Und das war eine richtige Pilgermesse, fast nur Pilger in dicken  Fleecejacken und Bedienstete.
Die Chorherren sind noch recht jung, tragen weiße Kutten mit einem grünen Schal. Ein ältere trägt einen grünen Umhang und predigt, eine Frau ist unter ihnen. Die Messe wird in französich und teilweise in deutsch gehalten.
Sie findet in einer kleinen Kapelle im Hospiz statt. Diese ist schlicht aber sehr schön. Und weil es mir diesmal peinlich ist, wenn ich mich wieder nicht beim Oblatenverteilen anstelle, da es auffallen würde, stehe ich mit in der Reihe und der ältere Chorherr mit gütigen Augen legt mir eine Oblate in die Hand, ich werde sie im Zimmer mit meinem Mann teilen. Anschließend verlässt ungefähr die Hälfte der Leute die Messe, der Rest bleibt sitzen und die Mönche kommen ohne Schal zurück. Ich bin neugierig und bleibe, dann beginnt so etwas wie eine Gesangsstunde,  die Seitenzahlen werden auf deutsch angesagt und der Mann neben mir zeigt mir, an welcher Stelle im Gesangsbuch wir uns befinden, und ich singe fleißig mit aus dem französischen Gesangsbuch. Das fällt nicht auf.
Danach wird zum Abendessen geläutet. Dieses findet in einem Speisesaal mit vielen langen Bänken statt.
Es wurden Tischkärtchen aufgestellt, wir sitzen mit einer fünfköpfigen Familie, einer Französin, einem Schweizer und einer Deutschen an einer Tafel. Mit ihr kommen wir kurz ins Gespräch.
Sie wandert die Via Francigena von Augsburg, ihrem Heimatort aus und teilt sich die Strecke auch auf mehrere Jahre auf. Sehr gesprächig ist sie nicht. In diesem Jahr ist sie in Aigle gestartet und in Martigny hat sie beim Pfarrer auf dem Boden geschlafen.  Vom Foyer in St.Maurice war sie nicht begeistert. Wie verschieden doch die Geschmäcker sind. Heute ist sie die ganzen 26 Kilometer von Orsieres hier herauf gelaufen, die letzten beiden Stunden im Regen. Alle Achtung. In Orsieres hat sie auch beim Pfarrer geschlafen, der will demnächst ein Haus als Herberge für Pilger einrichten.
Das Hospiz wurde von Bernard von Aosta um etwa 1050 errichtet. Dieser war Erzdiakon in Aosta und ihm begegneten immer wieder Händler, Reisende und Pilger, die von den Gefahren am Jupiterberg, so hieß der Berg damals, berichteten, viele wurden Opfer von Räuberbanden, aber wesentlich schlimmer waren die Wetterunbilden, Schnee, Lawinen, Stürme. Daraufhin ließ er das Hospiz errichten und beauftragte Augustinermönche, dort für die Reisenden zu sorgen. Und so ist es noch heute. Der Passübergang war die kürzeste Strecke zwischen Nord- und Südeuropa und wurde daher auch viel genutzt.
Später wurden dann auch die Bernhardiner Hunde zum Bergen eingesetzt. Auch wurden vor allem im Winter Boten je eine Meile nach rechts und links ausgesandt, um nach Verletzten oder Vermissten Ausschau zu halten. All diese Arbeiten verrichteten die Chorherren. Ihr Haus ist sehr offen und sie nehmen jeden sehr gastfreundlich auf, die Religion der Reisenden spielt dabei keine Rolle. Heute organisieren sie Skiwanderungen und Bergsteigerkurse. Unterstützt werden sie dabei von sogenannten Laien, das sind junge Leute, offensichtlich Studenten oder ähnliches.
So, und zum Abendessen gibt es Gemüsesuppe, Reissalat, Schinkennudeln, als Dessert Apfelmus und für jeden eine Tafel schweizer Schokolade.
Wir gehen um acht ins Bett und es regnet, wir stehen um sieben auf und es regnet immer noch.
Um acht gibt  es Frühstück, Brot, Marmelade, Butter. Es regnet immer noch. Die meisten Pilger brechen auf.
Wir wollen uns aber noch das Museum und die Bernhardiner ansehen. Und wen entdecken wir, Vater und Sohn, wieder mit seinem Lächeln, auch sie haben sich gestern noch hier herauf gequält, aber im gegenüberliegenden Hotel geschlafen.
Sie wollen aufhören, der Sohn schiebt es auf die Füße des Vaters, der auf seine Frau, sie hat aus Montreux angerufen, es sei schön dort und er solle doch kommen.
Ich erzähle ihm von der deutschen Pilgerin und einem Franzosen, die gestern von Orsieres herauf kamen.
„Was sind wir klein“, sagt er und es stimmt.
Gut, aber wir gehen ja weiter. Entscheiden uns für die Straße. Nebel und der unaufhörliche Regen schrecken uns vor dem Wanderweg hangabwärts zurück.
Gegen 11.00 Uhr überschreiten wir die Grenze nach Italien völlig unspektakulär. Damit sind wir jetzt im Land Nummer 4 unserer Pilgerreise.
 Da viele Autofahrer den Tunnel nehmen und heute des Wetters wegen sowieso nicht viel herauf kommen werden, ist die Straße frei, lediglich drei verrückte Porsche schießen in einem Affentempo hoch, und was soll ich sagen, Dresdener Kennzeichen, ich denk mir mein Teil und die wahrscheinlich auch als sie uns ausmachen, im grünen Cape im strömenden Regen auf der Passstraße.
Wir marschieren Serpentine für Serpentine nach unten, erreichen schließlich den Tunnel, der so gar nicht in diese Landschaft passt, aber eben die kürzeste und schnellste Verbindung ist. Wir gehen kurz genau über dem Tunnel, dann neben ihm und die Betonpfeiler, von denen schon der Putz abbröckelt, wirken nicht sehr vertrauenserweckend. Kurz darauf erreicht man St. Rhemy, ein kleines italienisches Dörfchen, ganz anders als in Frankreich oder der Schweiz, die Dächer sind mit großen Schiefertafeln gedeckt, einige Häuser stehen leer, die restlichen präsentieren sich mit herrlichem Blumenschmuck. Das winzige Dörfchen ist ein Muss auf der Via Francigena durch Italien. Schon beim Betreten fallen einem die noch recht neuen großen Straßenlaternen auf, von jeder grüßt ein schmiedeeisernes Pilgermännchen. Auch die Kirche ist sehr prachtvoll, eine Frau, die uns von ihrem Balkon aus beobachtet, schließt sie uns auf. Sie spricht deutsch, erkennt uns als Pilger, obwohl heute das Regencape unser Zeichen am Rucksack verdeckt, sie weiß auch, dass wir St Oyen, das Hospiz Chateau Verdun, ansteuern, das machen die meisten Pilger. Sie beschreibt uns den Weg und meint, dass sie in zehn Minuten sowieso dorthin fahren würde, sie könne uns mitnehmen.
Das lehnen wir dankend ab und ein Lächeln zeichnet sich auf ihrem Gesicht ab, damit haben wir uns wohl als echte harte Pilger geoutet. Wenn mir vor zwei Wochen, als ich mich halbverdurstet nach Trepot raufschleppte, jemand dieses Angebot gemacht hätte, geküsst hätte ich ihn. Heute aber bleiben wir standhaft, es wird gelaufen.
Als wir das Dörfchen verlassen, sitzen drei kleine Italiener auf einer Treppe, auch Pilger. Alessandro, Simone und Mauro pilgern vom Hospiz aus nach Rom. Sie wohnen in der Nähe von Parma, in einem Örtchen, an welchem die Via Francigena vorbei führt, schnell tauschen wir Adressen und Telefonnummern aus und wir dürfen sie nächstes Jahr kontaktieren, sie würden für eine Unterkunft sorgen.
Der Regen hat mittlerweile aufgehört und man wandert jetzt zwischen Nadelwäldern, es duftet nach Tannennadeln und die frische Luft wird ganz tief eingeatmet.
Gegen vier sind wir dann in St Oyen angekommen. Dieses kleine Chateau ist ein Ableger des Hospizes, offensichtlich tun hier die älteren Chorherren ihren Dienst. Am Empfang wird Pilgerpass und Personalausweis verlangt. Die Essenszeiten werden mitgeteilt und wenn man möchte kann man wieder an der Messe teilnehmen. Wir bekommen ein Zweibettzimmer, saubere Bettwäsche und Handtücher, Toiletten und Duschen befinden sich über den Gang, das Haus ist nicht voll, gerade mal wir drei Pilger, denn die Augsburgerin macht auch hier Station, und zehn Italiener. Zum Abendessen gibt es Gemüsesuppe, Spinatauflauf mit Schinken.
Ach, was vermisse ich die französische Küche und mein Mann die schweizer Federbetten.
Der Abstieg über die etwa zehn Kilometer lange Passstraße hat geschlaucht. Alle Knochen schmerzen.
Neben Sonnenbrand auf der Nase, Herpes, von den Augenringen ganz zu schweigen, plagen mich nun auch zwei kleine Blasen. Aber ich hatte lange keine so gesunde Gesichtsfarbe und so braun war ich auch schon lange nicht mehr. Dennoch sind wir glücklich und zufrieden, wenn wir morgen in Aosta sind.
Während ich das schreibe sitzen zwei ältere Italienerinnen mit im Aufenthaltstraum. Wir kauderwelschen, was wir hier so treiben, ich zeige ihnen unsren Reiseführer. Nachdem sich beide ihre Brille aufgesetzt haben und die Städtenamen Canterbury und Besancon und Lausanne und Rom lesen, nimmt das „Mamamia!“ kein Ende. Wir zeigen ihnen dann noch ein paar Fotos vom PC, die beiden sind begeistert und wollen noch mehr sehen. Jetzt ist aber gut, morgen geht es nach Aosta, mal sehen, was die Stadt zu bieten hat. Vielleicht geh ich mal shoppen.
Übrigens haben wir festgestellt, dass neben Deutschland, Frankreich, Schweiz, England und Österreich auch in Amerika und Nikaragua unser Blog gelesen wird. Ihr könnt gern kommentieren, wir würden uns freuen.

Erkenntnis des Tages:   Hier erzählt jeder Stein und jeder Weg eine Geschichte, wenn du nur hinhörst.

 
im Hospice mir Frederic

Wau

Schweiz - das Ende
Italien - wir kommen
Tagesvideo

2 Kommentare:

  1. Ich erkenne Frederic. Das Hospiz ist etwas Besonderes.
    Es ist wirklich schade, das Wetter. Die Aussicht wäre wunderbar.
    Die italienische Küche ist auch sehr schmackhaft. :-)
    Everdiene

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  2. Hallo ihr Pilger, auf dem Weg von Montreux, wo ich den Via Francigena (Frankenweg) nach wochenlanger Fußwanderung erreicht hatte, hoch auf den Col du Grand-Saint-Bernhard und weiter nach Aosta, kam beim ansehen der Bilder die Erinnerung zurück und ich fühlte mich wieder auf dem Weg nach Rom.
    Toll wie Ihr eure Seite aufgebaut habt und sogar mit bewegten Bildern eindrucksvoll ergänzt.
    Lasst etwas von Euch hören wenn Ihr weiter zieht.
    Ich plane im nächsten Jahr von Düren aus nach Taize und dann weiter nach Lourdes zu pilgern ca. 1300 bis 1400 km
    Euch wünsche für den Restweg nach Rom alles Gute mit dem Pilgergruss vom Jakobsweg:
    Buen Camino Peregrina und Peregrino

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