Donnerstag, 12. September 2024

 09.09.2024 Saint-Genie-des Mourgues (Auberge) – Montpellier  17 km
 
Die Nacht ist gruselig, feuchtwarme Luft steht im Zimmer, die Fenster kann man wegen Mücken und Bremsen leider nicht öffnen, kein Wunder, dass in den Gästebeurteilungen von schimmeligen Zimmern die Rede ist. Am schlimmsten aber ist die Kuhle in diesem Bett. Ich stehe auf und gehe ins von den flackernden Kronleuchtern und blinkenden Lichterketten hell erleuchtete Foyer, atme vor der Tür frische Luft und such mir einen einigermaßen sauberen Stuhl, Netzt hat man hier nicht, dennoch schaue ich wieder und wieder und wieder aufs Handy, es ist erst gegen zwei. Als eine Bremse herumschwirrt, flüchte ich wieder ins Zimmer und gegen halb sieben reichts, wir packen die Rucksäcke, wickeln die noch feuchten Shirts  in ein Handtuch und wollen einfach nur Reißaus nehmen. Allerdings müssen wir noch die Zeche bezahlen. Das Restaurant ist offen, das schmutzige Geschirr vom Abendessen steht noch so auf den Tischen, wie wir sie gestern Abend verlassen haben; die Hunde hatten beim Tollen am Tresen einen Blumenkübel umgeworfen, die verstreute Erde ist breit getreten, die Räume sind leicht beleuchtet, alles wirkt wie in einem Gruselfilm. Aufs Frühstück verzichten wir heute, wollen aber das Geld nicht einfach so hinlegen, zumal wir vom Gehöft wegen des zugesperrten Tores gar nicht heraus kommen. 

 


Es dämmert, ich gehe hinters Gästehaus und sag dem abgemagerten Pferd Guten Morgen. Nach einer Stunde kommt die Wirten, zofft sich mit meinen Mann wegen der Panache von gestern Abend, wegen des Frühstücks, dass er nicht in Rechnung gestellt haben möchte. Ich bleib auf dem Hof und flüchte, sobald sich Tor öffnet vor selbiges. Hier hat schon der morgendliche Berufsverkehr eingesetzt. Um nicht nach Saint Genie zurück zu müssen, hat mein Mann die 500 m an der Straße entlang vorgeschlagen, da war gestern fast kein Verkehr und vor zwei Stunden auch noch nicht. Jetzt aber wird’s heikel bis gefährlich. Als wir schließlich den Wanderweg erreichen, bin ich gestresst, wütend und schweigsam. Und müde auch. Das hat zur Folge, dass der Turbo gezündet wird und es dank der wirklich guten Ausmuschelung und mal wieder keiner Sitz- oder ganz und gar Einkehrmöglichkeit zügig flott voran geht. Immer parallel zur Straße in einem kleinen Wäldchen entlang, hinter einer Tankstelle und auch mal wieder an der städtischen Müllkippe wird man entlang geführt. Wenig attratktiv. 



So haben wir nach gut zwei Stunden Vendargues erreicht und mein Mann hat jetzt von den vielen -ues- Dörfern genug. Baillargues, Gallargues, Verargues, Saturargues, des Morgues. Ja, und jetzt erreichen wir Vendargues, ein größerer Ort, der gleich anfangs mit gelben Pfeilen die Richtung weist und auf einem Plakat mitteilt, dass man den Pilgerstempel in der Kirche bekommt und man von hier den Bus Nr. 120 nehmen sollte. Wo man allerdings eine Bar oder ein Cafe findet, wird nicht mitgeteilt. Wir gehen ins Zentrum, Baustelle, Post, Bank, eine kleine Bäckerei, und eine größere Bar, die einzige im Ort. Davor eine Bushaltestelle, von der wie beschrieben die Nr. 120 abfahren soll. Wir setzen und ins Wartehäuschen bis eine ältere Dame uns darauf aufmerksam macht, dass wegen der Bauarbeiten der Bus hier derzeit nicht fährt. Bingo. Ab in die Bar, der Wirt ist nett, wir können uns gut auf Englisch verständigen. Er bringt uns Cappuccino, und in Frankreich, so haben wir gelernt, ist es üblich, sein Croissant oder Brioche in der Bäckerei zu kaufen und mit ins Cafe zu nehmen. Während ich die feuchten Shirts aus dem Rucksack am Brunnen vor der Bar zum Trocknen breit hänge, besorgt mein Mann nebenan ein paar Croissants. Der Brunnen übrigens ist wie die meisten in den -ues-Orten ebenfalls abgestellt. Der Wirt ist sehr hilfsbereit und gibt uns den Tipp, wie auch der Wanderführer, mit der Tram nach Montpellier hineinzufahren. Wir trödeln lange in der Bar herum, lassen uns Zeit, wir haben für heute noch keine Unterkunft in Montpellier. Ich liebäugle ja wieder mit der kirchlichen Pilgerherberge, das wiederum möchte aber mein Mann nicht, er kann und will diesen Gemeinschaftsunterkünften nichts abgewinnen. 

 




St. Christol mit dem älteren und ruhigen Jerome war in Ordnung, zumal es dort wirklich sauber war. Wo er wohl momentan ist ? Und wo Tristan mit seinem 20kg Rucksack gerade pilgert ?  
Also buchen wir uns ein Hotel in Bahnhofsnähe. Der Wirt zeigt mir den Weg zur Kirche. Weil ich mir in der Gruselhazienda keinen Pilgerstempel geben lassen wollte, versuch ich‘s hier, am Ortseingang wurde ja damit geworben. Der Weg war umsonst, auch hier ist die Kirche ferme (geschlossen). Irgendwann sind unsere Shirts getrocknet, das Hotel gebucht und eine passende Haltestelle gefunden. Der Busfahrer nimmt uns bis zur Tram-Haltestelle kostenlos mit und Montpellier ist eine der ersten Großstädte unseres Nachbarlandes, in denen öffentliche Verkehrsmittel kostenlos benutzt werden dürfen. Die Tram ist mit großen Pri-Blumen angemalt und sieht richtig schmuck aus.  

 


 Ebenso begeistert sind wir von Montpellier. Anders als in Aix-en-Provence und ganz anders als in Marseilles fühlen wir uns hier gleich wohl, auch wenn wir von der Ruhe und Einsamkeit des Weges jetzt plötzlich wieder lautes und buntes Treiben um uns herum haben. Hier wirkt dennoch alles ein bißchen entschleunigt. Beim abendlichen Bummel durchs Zentrum fühlt es sich ein klein wenig an wie in Rom. Auf dem Platz de la Comedie herrscht zwar reges Treiben, aber es verläuft sich, wenig Touristen, viele junge friedliche Leute, kaum Bettler. Und immer, wenn man aus einer kleinen Gasse heraus tritt, gibt’s wieder einen kleinen Platz mit Restaurants und fröhlichen Menschen. 


 



Keine Hektik und vermüllte Gassen, die Kirche St. Roch beleuchtet und von einem hübschen kleinen Park mit Springbrunnen umgeben, im Park ein öffentlicher Bücherschrank und es sitzen sogar Menschen auf den Bänken und lesen Bücher, richtige Bücher.  
Neben der Kirche die Pilgerherberge, ich würd sie mir ja gern mal ansehen, man kann aber nur zwischen 15.30 und 18.00 klingen.
Es waren sieben ereignisreiche Tage, und eigentlich waren alle schön, mal schön lang, mal schön warm und mal schön windig. Insgesamt sind wir 130 km gewandert. Der längste Tag schlägt mit 26, 2 km, der kürzeste mit 11,9 k zu Buche. Wir sind 11 Pilgern begegnet, vielen Stieren und fast immer gastfreundlichen und hilfsbereiten Menschen und gespannt, was die nächsten (Berg)-etappen und die Pyrenäen für uns bereit halten.
 
 

Erkenntnis des Tages:  Die Planung läuft ! 








 

 
 
 
 
 
 
 
 

Mittwoch, 11. September 2024

 08.09.2024 St. Christol - St. Genies des Mourgues  12 km
 
Wir verschwinden alle drei schnell in unseren Schlafsäcken. Wo die vielen Autos herkommen, die hier bis Mitternacht ununterbrochen vorbei rauschen, können wir uns nicht erklären, wirkten doch die Orte wie ausgestorben. Jerome kündigte an, dass er morgens noch vor halb sieben aufbrechen will, er hat vor, bis Saint-Guihelm-le-Desert zu laufen, das ist zwei Tagesetappen hinter Montpellier und wären über 60 km. Wegen der Mücken bittet er, die Fenster zu schließen. Als gegen Mitternacht der Mistral doch noch den Regen bringt, öffne ich die Tür, beobachte im Straßenlaternenlicht, wie es Blasen regnet und atme die frische Luft ein. Wohl dem Wanderer, der heute den Feldweg am Damm entlang muss; wir sind bereits über große Pfützen balanciert. Die Nacht ist außergewöhnlich ruhig, niemand schnarcht und kein Bett quietscht. Wir bemerken kaum, wie Jerome bei Tagesanbruch aufbricht und in der Küche abwartet, dass es zu regnen aufhört.  Gegen acht schlüpfen wir aus den Schlafsäcken, genießen das saubere Bad, mein Mann schlüpft zum Bäcker und besorgt Kaffee und Croissants. 

 


Zwar bietet die Küche alle Möglichkeiten, um ein Frühstück zu machen, nur das Örtchen eben keine Möglichkeit, um Lebensmittel einzukaufen. Emile schaut nochmal vorbei und ich muss ein bisschen schmunzeln, trägt er doch heute zum Sonntag ein rotes Hemd mit Stieren drauf. Unsere Pilgerherberge liegt übrigens gegenüber der Arena. Er berichtet, dass sich für heute 4 Pilger, davon 3 Deutsche und für morgen ein Deutscher angemeldet haben. Den Schlüssel sollen wir dann in den Briefkasten werfen. Wir trödeln herum, waschen ab, ich richte nochmal alle Decken auf den Betten, finde Putzmittel im Schrank und gehe nochmal über die Armaturen im Bad, mein Mann fegt die Zimmer aus, wollen wir doch unseren Landsleuten eine saubere Unterkunft hinterlassen. Im Gästebuch mussten wir uns eintragen und man weiß ja nicht, ob man sich nicht doch nochmal begegnet. Ich stelle  den Blumentopf mit den Kunstblumen auf den Küchentisch und trappiere das Gästebuch und den Stempel darum. Sieht einladend aus, wenn man den Raum betritt. Dann ziehen wir langsam zum einsam und verlassenen Städtele hinaus. 




Es ist bewölkt, aber windstill. Mein Mann drohnt und wir sind bis St. Genie fast allein. Es mutet fast an wie ein Sonntagsvormittagsspaziergang  mit großen Rucksäcken. Zwischen Weinbergen, einem kleinen Wäldchen und einer Pferdekoppel geht’s entlang. An der Koppel gibt es eine große Lokalität für Feierlichkeiten und wir begegnen den Resten der gestrigen Hochzeitsgesellschaft.  Nach dem Videodreh am Kanal brauchen wir eine kleine Pause und finden tatsächlich in einem Vergnügungspark, der heute kaum besucht ist, ein Cafe, der junge elsässer Kassierer lässt und so rein , doch kaum haben wir die Rucksäcke abgestellt, fällt auch schon ein Mückenschwarm über uns her, man kann sich einfach nirgends hinsetzen, bei diesem feuchtwarmen Wetter bietet  man im durchgeschwitzten Shirt die perfekte Angriffsfläche für die Blutsauger. Wir nehmen Reißaus und folgen jetzt einem Rad- und Wanderweg direkt bis nach St. Genie. Dieser Ort gefällt uns, gepflegt, sauber, freundlich grüßende Bewohner und ganz wichtig, es gibt ein Restaurant und das ist sogar geöffnet, bietet aber wegen einer Familienfeier und weil Mittag schon vorbei ist, kein Essen mehr an. Ich übersetze mit Hilfe google und bitte um wenigstens eine Kleinigkeit und der Koch macht uns eine Platte mit Salami, Schinken und Käse.  

 




Wir bleiben lang sitzen und checken unsere heutige Unterkunft. Bis Montpellier wäre es für uns zu weit gewesen, der Wanderführer empfiehlt daher eine Auberge mit Restaurant an einer Schnellstraße, die man sicher durch den Wald erreichen kann. Der Mailkontakt ging zügig und flott von statten und man bot uns zum, wie man mir schrieb, Pilgersonderpreis, ein Doppelzimmer mit Halbpension an. Die gleiche Unterkunft hat auch booking im Angebot und wir checken die 6,0 Gästebeurteilungen. Da wir aber morgens ziemlich trödelten, machts jetzt wenig Sinn, bis Montpellier zu laufen, das schaffen wir nicht, zumal wir dort auch noch gar nichts zum Schlafen haben. Ich rufe kurzerhand in einer Gite im Dorf an, kriege aber verständlicher Weise eine Absage. Bleibt nichts übrig, wir ziehen weiter, genießen den hübschen Ort und ich bestaune nach wie vor die bunten Symbole an den Hauseingängen. Rosa sind die Flamingos, blau der Reiter auf dem Pferd, rot oder schwarz der Stier und braun das Wappen des Heraults, und dann gibt’s noch den Anker mit dem Herz, Glaube, Liebe, Treue, und alle anderen kann ich nicht deuten. Wir gehen wieder an einer diesmal recht großen Stierkampfarena vorbei und ich bemerke, dass hier die Straßennamen bereits auch in Spanisch ausgeschildert sind. Als wir die Auberge erreichen, herrscht dort gerade nachmittägliche Aufbruchstimmung im gut besuchten Restaurant. Die Wirten drückt meinem Mann ein Hufeisen mit einem Schlüssel in die Hand, weist uns den Weg ins Nebenhaus und verschwindet wieder im Gastraum. Es ist ein sehr großes Anwesen, so stell ich mir eine Hazienda vor, ein großes Wohnhaus mit Restaurant, einer Terrasse und einem Festsaal. Nebenan das riesige Gästehaus mit einem hohen großen Foyer und bestimmt 20 Zimmern, verwahrlost, in die Jahre gekommen, ungepflegt, eine große Abstellkammer. Den Schimmel im Zimmer weiß übertüncht. Eine alte Badewanne. Am schlimmsten aber ist das Holzwürmer-Bett, das, um die Kuhle darin zu füllen, vergeblich mit etlichen Matratzen aufgestockt wurde. Auf dem Balkon schmutzige Gartenmöbel, das Fenster schließen wir schnell wieder, Mücken und Bremsen. Es bietet sich ein Blick auf eine verwahrloste Pferdekoppel übersät mit Pferdeäpfeln, auf dem ein verknöchertes Pferd weidet. Armselig. Eine Nacht. Augen zu und durch, denken wir. Gegen sieben versuchen wir dann, im Restaurant unsere gebuchte Halbpension zu bekommen. Es riecht nach Hund, zwei davon bespringen uns, die Oma im Nebenzimmer schaut fern und regiert erst auf meine recht laute Begrüßung, führt uns in einen großen Saal, hier sind alle Tische mit weißen Tischdecken eingedeckt. Wir solle uns irgendwo hinsetzen, dann fährt sie einen Servierwagen vor mit undefinierbaren Tapas, wir können es nicht erkennen, halten uns ans Brot, saure Gurken und eingelegte Pilze, alles, wo Essig dran ist, da kann man, so meine ich, nichts falsch machen. Ab und zu schauen die Hunde vorbei. Es ist einfach gruselig. Teller besorgen wir uns aus dem Nachbarzimmer, finden auch neben dem vielen unabgewaschenem Geschirr ein paar saubere. Irgendwann kommen dann auch noch drei weiter Gäste. Die kriegen das Gleiche vorgesetzt. Einzig und allein die Nachspeisen, die auf einem weiteren Servierwagen vorgefahren werden, Torte und Schokoldenmouse, können uns ein bisschen aufheitern. Eine der Gäste ist eine ältere Deutsche, die mit ihrem Auto eine Südfrankreichtour macht und sich hier für drei Tage einquartiert hat, weil sie in der Herberge, die sie ursprünglich buchte, partout wegen der Unsauberkeit nicht bleiben wollte. Ach, kuck mal an, es gibt also noch dreckigere Spelunken als diese hier. Prost Mahlzeit. Sie bittet meinen Mann, ihr das Wlan auf ihrem Handy einzustellen, aber auch das ist hier draußen unmöglich. Es ist schon dunkel als wir im Zimmer verschwinden. Im Foyer sind die Kronleuchter die ganze Nacht an und flackern, eine blinkende Lichterkette ist gespannt und Bremsen fliegen umher. Ein wahres Gruselkabinett. Das verspricht eine schlaflose Nacht.
 

Erkenntnis des Tages: Schlimmer geht immer ! 



 


Sonntag, 8. September 2024

 07.09.2024 Gallargues – St. Christol 20 km
 
Die Idee, so auf die Schnelle das kleine Appartement zu buchen, war super. Mein Mann hatte wieder gute Laune, konnte im 300 m entfernten Lidl einkaufen, die nigelnagelneue Küche nutzen und ich die Waschmaschine. Das genossen wir dann auch und starteten heute Morgen recht spät. 


 

Jedoch nicht, ohne nochmal beim Coiffeur die Nase rein zu stecken und uns für die kommunikative Unterstützung der netten Friseurin zu bedanken. Wir verlassen schnell den Ort über den Marktplatz und an der Stierkampfarena vorbei, die ab hier fast jeder auch noch so verlassenste Ort hat. In einer Gasse treffen wir zwei Frauen mit schweren Rucksäcken. Sie sprechen französisch und sind heute Morgen in Vauvert gestartet. Alle Achtung. Es weht ein warmer heftiger Wind und an einem Damm entlang sucht man wieder vergeblich Rastplätze, allerdings ist an der Wegmarkierung nichts auszusetzen. Der deutsche Wanderführer jedoch ist ziemlich veraltet, da stimmt fast nichts mehr. Wir entdecken die Reste der alten römischen Brücke und mein Mann bereut es , heute wegen des Windes nicht drohnen zu können, wäre die Brücke doch das Bilderbuchmotiv. 






 


Und es stürmt wirklich sehr. Die Tage zuvor musste ich mehrmals das durchgeschwitzte Shirt wechseln und zum Trockenen an den Rucksack hängen. Heute lass ichs an, den Wind durchsausen und find es angenehm  kühlend. Vom Dammweg muss der Wanderer unter einer Autobahnbrücke durch auf einen Feldweg wechseln und große Pfützen umgehen, also muss es ja doch mal ziemlich geregnet haben. Wir haben Klumpen von Schlamm an den Schuhen. Zwischen hohem Gras und windgeschützt sitzen die beiden Pilgerinnen und machen Pause.

 

 Wir googeln, was das Zeug hält, um in einem der nächsten Orte ein geöffnetes Cafe zu finden. Vergeblich. Kurz vor dem Örtchen Villetelle überquert man den Fluss Le Vidourle und somit die Grenze vom Departement Gard ins Herault. Im Dorf wirbt ein großer Austeller für eine Patisserie. 





Die hat sogar noch geöffnet und ist echt winzig, eine ältere Madame bietet in dem kleinen Laden leckere Torten und Törtchen an, vorm Haus auf der ebenso winzigen Terrasse stehen zwei Tische und an einem sitzt ein älterer Herr, mir fallen zunächst seine mit Schlamm beschmierten Wanderschuhe auf, bevor ich den Rucksack und auf dem seinem Tisch ausgebreitete französische Wanderführer wahrnehme. Auch ein Franzose, der uns aber in gutem Deutsch anspricht. Er will heute auch bis nach St. Christol und ist wie die beiden Frauen heute Morgen in Vauvert gestartet. Respekt. Ich bemerke, wie sich das Gesicht meines Mannes verfinstert. Im Nu quält er wieder sein Handy, wird nur in der ganzen Umgebung keine geeignete Unterkunft finden. Alls dann die beiden Pilgerinnen auch noch vorbei ziehen, geht seine Laune in den Keller. Schlafsäle und so sind nichts mehr für uns. Die nächsten beiden Orte, die wir durchwandern sind menschenleer, wie bei „12 Uhr mittags“ , der warme Wind hat die Mülltonnen umgeworfen, Fenster stehen offen und Gardinen wedeln heraus. Aber keine Menschenseele. Als es einen Hügel hinauf geht begegnen wir dann aber doch noch einem Ehepaar mit Hunden, ausgewanderte Luxemburger, mit denen wir prima deutsch kommunizieren, sie zeigen uns einen günstigeren Weg nach St. Chistol und erklären uns, das es der Mistral ist, der hier häufig weht, aber kaum Regen bringt, weil er die Regenwolken bis in die Cevennen treibt, die haben es dort dann immer nass. Auch die beiden Orte, durch die es jetzt geht, sind leer, die Kirchen geschlossen, die Häuser in den kleinen Gassen dem Verfall preis gegeben, außerhalb stehen aber feine kleine Einfamilienhäuser mit Kakteen am Wegesrand. 

 



In einem der Orte überholt uns laut hupend ein Hochzeitskonvoi, das war so das Aufregendste heute. Sprudelte in Villettelle wenigstens noch der Dorfbrunnen, haben diese hier schon lange keine Wasser mehr gesehen. Wie immer scheinen die letzten paar km nicht enden zu wollen, Sonne, Wind, Asphaltsträßchen. Wir erreichen St. Christol und finden schnell die Pilgerherberge, checken mit Adleraugen die Einrichtung und Gäste, keine Indianer, nur Jerome, der Franzose aus der Patisserie ist hier, mein Mann gibt grünes Licht, wir bleiben. Es ist sauber, eine kleine Küchenzeile, ein wirklich sauberes Bad, und es gibt 4 Einzelbetten. Die kommunale Herberge wird von Ehrenamtlichen betrieben und Emile begrüßt uns, kassiert den Obolus und stempelt die Pilgerpässe ab. 





 

Nach Duschen und Wäsche waschen, geht’s ins Dorf. Unsere Rucksäcke geben nicht mehr viel Proviant her und es ist Samstag Abend, mal abgesehen davon, dass es hier ehe keinen Supermarkt gibt. Sonst hätten wir kochen können. Ein Pizzabäcker bietet Pizzen und Yuffkas zum Mitnehmen an. Ich frage den Barbesitzer gegenüber, ob wir bei ihm die Pizza essen können, weil wir auch unbedingt etwas trinken müssen. Im Unterhemd sitzt er rauchend in seiner Bar und schaut im großen LED TV das französisch Bingo. Der Patrone gestattet es, mixt uns jedem einen halben Liter Panache und hat sogar zwei Messer zum Teilen der Pizza. Später kommt auch noch Jerome und eine französische Familie, die mit ihren Kiddis hier Uno spielen. So sieht hier das Dorfleben an einem Samstagabend aus. Wir drei kommen in der Herberge gut zurecht, reden wenig und liegen gegen neun in den Schlafsäck

 
 

Erkenntnis des Tages: Mistral heißt der Wind.

 




 
 
 
 
 
 
 

Freitag, 6. September 2024

06.09.2024 Vauvert – Gallargues-le- Montueux 16 km
 
Auch diese Nacht verlief bis auf ein paar Ibuprofen ruhig und nach echt langen Wandertagen hat man keine Zeit für Kopfkino, man findet schnell in den Schlaf. Frühstück war für 8 Uhr ausgemacht und wir hatten eigentlich vor, wie gewohnt, in einer Bar einen Kaffee zu trinken und ein Croissant zu essen. Richard macht uns aber noch Kaffee, stempelt die Pilgerpässe ab und erzählt uns, dass er in ein paar Jahren, wenn er in Rente ist, auch vor hat, nach Santiago zu pilgern. Er verabschiedet sich von uns, wir dürfen in Ruhe packen und er meint, sein Haus ist auch unser Haus, wir sollen den Schlüssel dann in den Briefkasten werfen. 


 

Der heutige Tag soll nicht so lang sein und wir schlenkern gemütlich aus der Stadt heraus. Es ist bewölkt. Anderen Pilgern begegnen wir nicht, obwohl wir uns brav an die Markierungen halten. Und das muss man hier mal sagen, die Ausschilderung ist 1a, man kann sich gar nicht verlaufen, um so verwunderlicher ist es, dass man am Zielort Pilgern begegnet, die wir den ganzen Tag weder vor noch hinter uns zu Gesicht bekommen haben. Heute ist die Strecke zwar auch wieder von Weinbergen geprägt, aber mehr und mehr auch von landwirtschaftlich genutzten Flächen, Melonen- und Zucchinifeldern, Hirse, Artischocken. Sitzgelegenheiten sucht man wieder vergebens aber wir durchwandern wenigsten einen Ort, in der Hoffnung, dort was trinken oder ganz und gar mal wieder mittags essen zu können. 

 




Und mit 16 km ist es ja auch nicht so weit. Landschaftlich gibt die Strecke noch weniger her als gestern, aber wir sind irgendwie besser drauf. In Codognan treffen wir zur Mittagszeit ein, suchen das laut google geöffnete Cafe, das allerdings vom Äußeren her schon länger nicht mehr bewirtschaftet ist und fragen schließlich eine junge Frau, wo und ob man hier überhaupt irgendwo einkehren könnte. Sie erklärt mit Hilfe des google Übersetzers, dass wohl im nächsten Dorf eine große Bäckerei sei und es mit dem Auto 5 min wäre, bis sie mitkriegt, dass wir eigentlich zu Fuß unterwegs sind und anbietet, uns hin zu fahren. Die mittlerweile schon lange Pilgerschaft hat uns eines gelehrt, angebotene Hilfe dankend anzunehmen, denn einem anderen Pilger, der sie dringender bräuchte als wir jetzt, würde sie dann vielleicht nicht mehr angeboten werden. Und außerdem liegt die Bäckerei an unserem Weg. Zwei Pilger, zwei Rucksäcke und ein langer Pilgerstab zwängen sich also in den kleine Renault und ruckizucki sind wir an einer großen Bäckerei mit Innenhof, leckeren Pizzen und einer großen Kuchenauswahl. Davor steht der französische Hühnerfred und während ich mich mit einem Stück Pizza zufrieden gebe, überkommt es meinen Mann, denn an Gegrilltem kommt er nicht vorbei, die Broiler werden hier allerdings nur im Ganzen angeboten, so kauft er sich eine große Bratwurst, das Günstigste vom Grill, Andouillette so sagte der Verkäufer, die dann aber mit Innereien und nicht wie er glaubt, mit Hühnchen gefüllt ist. Also teilen wir die Pizza, stärken uns mit Sahnetörtchen und Milchkaffee und brauchen danach eine Weile, um wieder in Schwung zu kommen. Über Feldwege und durch ein großes Industriegebiet erreichen wir schließlich Gallargues. Heute wollen wir mal nicht in einer privaten sondern in der kommunalen Pilgerherberge unterkommen. Ich habe gestern eine Mitarbeiterin des Tourismusbüro hier anrufen und reservieren lassen. Das war aber nicht nötig und die Tür steht immer offen, sagte man. So und jetzt überholen uns plötzlich wie aus dem Nichts der große Mann und die zierliche Frau von gestern, ziehen an uns vorbei und marschieren Richtung Herberge, weiter vorn sehen wir noch zwei weitere Personen mit großen Rucksäcken und mein Mann fasst sofort den Entschluss, heute dort nicht zu schlafen. Ich versuch zu schlichten und bringe ihn zumindest soweit, sich das Ganze doch erst mal anzusehen. Ein bisschen neugierig bin ich schon. Wo jetzt allerdings wieder die vielen Pilger herkommen, bleibt nach wie vor ein Rätsel. 


 

Als wir vor der Herberge stehen, kommt uns auch noch Tristan entgegen. Die Pilgerherberge ist neben einer stillgelegten Turnhalle untergebracht, es gibt einen großen Innenhof und man kann da einfach reingehen. Mein Mann bleibt am Eingang stehen, ohne den Rucksack abzunehmen, kehrt er auf den Fersen um. Der Schlafsaal ist echt klein, mit drei Doppelstock-und einem Einzelbett ist es ziemlich eng darin. Wir drei, Tristan und wir beide, das ist annehmbar und würde ihm auch nichts ausmachen. Der große Mann und die kleine Frau sind nicht hier. Aber wer hat da die untersten Betten mit seinem Kochgeschirr schon okkupiert ? Ein junger Bursche mit bunten Tatoos im Gesicht, einer Träne und einem Mond und so was, kommt uns aus dem Waschraum entgegen. Mit dem nächtige ich heute nicht in einem Raum. Ich will den Waschraum besichtigen, er hält die Tür zu, der ist gerade besetzt. Also werfe ich einen Blick in die Küche, sauber, ordentlich, großer Tisch, saubere Tischdecke. Mein Göttergatte unterdessen sitzt im Hof und quält schon booking.com.
Jetzt scheint der Waschraum frei zu sein, ich will ja nur mal noch einen Blick in die Dusche werfen. Ach, wer steht denn hier, Madmoiselle  Grüner Elefant, barfuß, dreht sich gerade Lockenwickler in die Haare.
Ich versuche mal ein Gespräch mit ihr, frage , ob sie pilgert und auch nach Santiago will, sie dreht stoisch mich anschauend ihren großen Lockenwickler in den Ponny und antwortet immer mit „oui“, nur das. Ich weiß nicht so recht, der Indianer mit seiner Gesichtsbemalung und sie müssen bekifft sein. Tristan blickt auch etwas verdattert. Mein Mann ist da schmerzfrei, das Thema hat er abgeschlossen, bucht ein kleine Ferienwohnung 100 m entfernt, die natürlich nicht einem Pilgerbudget entspricht, und wir schultern unsere Rucksäcke. Tristan kriegt das alles mit und fragt, ob wir nicht wenigsten den Pilgerstempel wollen, er tut uns ein bisschen leid und wir überlegen zunächst, ihn einfach mitzunehmen. Der junge Franzose stempelt unsere Pässe und wir verabschieden uns. Nun haben wir ja mit kurz spontan gebuchten Unterkünften über booking so unsere Erfahrungen vom letzten Mal und hoffen, dass es heute reibungsloser abläuft. Schnell ist die Adresse gefunden, allerdings benötigt man einen Code fürs Codeschloss, den kriegt man in der Regel vom Besitzer gemailt kurz bevor man eintrifft. Wir sind jetzt aber schon da und die Handys gleich leer. Kurzerhand bitte ich die Friseurin im gegenüberliegenden Coiffeur, die uns von booking übermittelte Telefonnummer anzurufen und den Code zu erfrage, das Ganze muss ich ihr aber erst mit meinen rudimentären Französischkenntnissen klar machen. Irgendwie klappt das auch. Englisch oder deutsch spricht hier kaum einer. Jedoch mussten wir jetzt bereits mehrmals feststellen, dass viele Einheimische Spanisch oder Portugiesisch anbieten. Das wiederum sprechen wir nicht. Die nette Friseurin ist clever, und ich mag clevere Menschen, sie lässt die beiden Damen im Salon mit der Farbe auf dem Kopf erst mal sitzen, und die haben auch Verständnis, kommt, mit ihrem Handy mit der Besitzerin telefonierend, mit zur Eingangstür, gibt mehrmals vergeblich den telefonisch übermittelten Code ein, diskutiert herzhaft mit der Vermieterin, und in Teamwork mit meinem Mann, der wie ein Panzerknacker sein Ohr ans Schloss hält, gelingt es, den Code zu knacken. Lange Rede, kurzer Sinn, wir haben eine ganze Wohnung für uns allein, duschen, machen uns breit, er geht Lebensmittel shoppen, kocht für uns, ich freue mich über die Waschmaschine und so gehen wir beide unserer haushaltstechnischen Lieblingsbeschäftigung nach. So geht auch pilgern. 






 

Erkenntnis des Tages: Gemeinschaftsunterkünfte sind nichts mehr für uns !