09.09.2024 Saint-Genie-des Mourgues (Auberge) – Montpellier 17 km
Die Nacht ist gruselig, feuchtwarme Luft steht im Zimmer, die Fenster kann man wegen Mücken und Bremsen leider nicht öffnen, kein Wunder, dass in den Gästebeurteilungen von schimmeligen Zimmern die Rede ist. Am schlimmsten aber ist die Kuhle in diesem Bett. Ich stehe auf und gehe ins von den flackernden Kronleuchtern und blinkenden Lichterketten hell erleuchtete Foyer, atme vor der Tür frische Luft und such mir einen einigermaßen sauberen Stuhl, Netzt hat man hier nicht, dennoch schaue ich wieder und wieder und wieder aufs Handy, es ist erst gegen zwei. Als eine Bremse herumschwirrt, flüchte ich wieder ins Zimmer und gegen halb sieben reichts, wir packen die Rucksäcke, wickeln die noch feuchten Shirts in ein Handtuch und wollen einfach nur Reißaus nehmen. Allerdings müssen wir noch die Zeche bezahlen. Das Restaurant ist offen, das schmutzige Geschirr vom Abendessen steht noch so auf den Tischen, wie wir sie gestern Abend verlassen haben; die Hunde hatten beim Tollen am Tresen einen Blumenkübel umgeworfen, die verstreute Erde ist breit getreten, die Räume sind leicht beleuchtet, alles wirkt wie in einem Gruselfilm. Aufs Frühstück verzichten wir heute, wollen aber das Geld nicht einfach so hinlegen, zumal wir vom Gehöft wegen des zugesperrten Tores gar nicht heraus kommen.
Es dämmert, ich gehe hinters Gästehaus und sag dem abgemagerten Pferd Guten Morgen. Nach einer Stunde kommt die Wirten, zofft sich mit meinen Mann wegen der Panache von gestern Abend, wegen des Frühstücks, dass er nicht in Rechnung gestellt haben möchte. Ich bleib auf dem Hof und flüchte, sobald sich Tor öffnet vor selbiges. Hier hat schon der morgendliche Berufsverkehr eingesetzt. Um nicht nach Saint Genie zurück zu müssen, hat mein Mann die 500 m an der Straße entlang vorgeschlagen, da war gestern fast kein Verkehr und vor zwei Stunden auch noch nicht. Jetzt aber wird’s heikel bis gefährlich. Als wir schließlich den Wanderweg erreichen, bin ich gestresst, wütend und schweigsam. Und müde auch. Das hat zur Folge, dass der Turbo gezündet wird und es dank der wirklich guten Ausmuschelung und mal wieder keiner Sitz- oder ganz und gar Einkehrmöglichkeit zügig flott voran geht. Immer parallel zur Straße in einem kleinen Wäldchen entlang, hinter einer Tankstelle und auch mal wieder an der städtischen Müllkippe wird man entlang geführt. Wenig attratktiv.
So haben wir nach gut zwei Stunden Vendargues erreicht und mein Mann hat jetzt von den vielen -ues- Dörfern genug. Baillargues, Gallargues, Verargues, Saturargues, des Morgues. Ja, und jetzt erreichen wir Vendargues, ein größerer Ort, der gleich anfangs mit gelben Pfeilen die Richtung weist und auf einem Plakat mitteilt, dass man den Pilgerstempel in der Kirche bekommt und man von hier den Bus Nr. 120 nehmen sollte. Wo man allerdings eine Bar oder ein Cafe findet, wird nicht mitgeteilt. Wir gehen ins Zentrum, Baustelle, Post, Bank, eine kleine Bäckerei, und eine größere Bar, die einzige im Ort. Davor eine Bushaltestelle, von der wie beschrieben die Nr. 120 abfahren soll. Wir setzen und ins Wartehäuschen bis eine ältere Dame uns darauf aufmerksam macht, dass wegen der Bauarbeiten der Bus hier derzeit nicht fährt. Bingo. Ab in die Bar, der Wirt ist nett, wir können uns gut auf Englisch verständigen. Er bringt uns Cappuccino, und in Frankreich, so haben wir gelernt, ist es üblich, sein Croissant oder Brioche in der Bäckerei zu kaufen und mit ins Cafe zu nehmen. Während ich die feuchten Shirts aus dem Rucksack am Brunnen vor der Bar zum Trocknen breit hänge, besorgt mein Mann nebenan ein paar Croissants. Der Brunnen übrigens ist wie die meisten in den -ues-Orten ebenfalls abgestellt. Der Wirt ist sehr hilfsbereit und gibt uns den Tipp, wie auch der Wanderführer, mit der Tram nach Montpellier hineinzufahren. Wir trödeln lange in der Bar herum, lassen uns Zeit, wir haben für heute noch keine Unterkunft in Montpellier. Ich liebäugle ja wieder mit der kirchlichen Pilgerherberge, das wiederum möchte aber mein Mann nicht, er kann und will diesen Gemeinschaftsunterkünften nichts abgewinnen.
St. Christol mit dem älteren und ruhigen Jerome war in Ordnung, zumal es dort wirklich sauber war. Wo er wohl momentan ist ? Und wo Tristan mit seinem 20kg Rucksack gerade pilgert ?
Also buchen wir uns ein Hotel in Bahnhofsnähe. Der Wirt zeigt mir den Weg zur Kirche. Weil ich mir in der Gruselhazienda keinen Pilgerstempel geben lassen wollte, versuch ich‘s hier, am Ortseingang wurde ja damit geworben. Der Weg war umsonst, auch hier ist die Kirche ferme (geschlossen). Irgendwann sind unsere Shirts getrocknet, das Hotel gebucht und eine passende Haltestelle gefunden. Der Busfahrer nimmt uns bis zur Tram-Haltestelle kostenlos mit und Montpellier ist eine der ersten Großstädte unseres Nachbarlandes, in denen öffentliche Verkehrsmittel kostenlos benutzt werden dürfen. Die Tram ist mit großen Pri-Blumen angemalt und sieht richtig schmuck aus.
Ebenso begeistert sind wir von Montpellier. Anders als in Aix-en-Provence und ganz anders als in Marseilles fühlen wir uns hier gleich wohl, auch wenn wir von der Ruhe und Einsamkeit des Weges jetzt plötzlich wieder lautes und buntes Treiben um uns herum haben. Hier wirkt dennoch alles ein bißchen entschleunigt. Beim abendlichen Bummel durchs Zentrum fühlt es sich ein klein wenig an wie in Rom. Auf dem Platz de la Comedie herrscht zwar reges Treiben, aber es verläuft sich, wenig Touristen, viele junge friedliche Leute, kaum Bettler. Und immer, wenn man aus einer kleinen Gasse heraus tritt, gibt’s wieder einen kleinen Platz mit Restaurants und fröhlichen Menschen.
Keine Hektik und vermüllte Gassen, die Kirche St. Roch beleuchtet und von einem hübschen kleinen Park mit Springbrunnen umgeben, im Park ein öffentlicher Bücherschrank und es sitzen sogar Menschen auf den Bänken und lesen Bücher, richtige Bücher.
Neben der Kirche die Pilgerherberge, ich würd sie mir ja gern mal ansehen, man kann aber nur zwischen 15.30 und 18.00 klingen.
Es waren sieben ereignisreiche Tage, und eigentlich waren alle schön, mal schön lang, mal schön warm und mal schön windig. Insgesamt sind wir 130 km gewandert. Der längste Tag schlägt mit 26, 2 km, der kürzeste mit 11,9 k zu Buche. Wir sind 11 Pilgern begegnet, vielen Stieren und fast immer gastfreundlichen und hilfsbereiten Menschen und gespannt, was die nächsten (Berg)-etappen und die Pyrenäen für uns bereit halten.
Erkenntnis des Tages: Die Planung läuft !
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