Sonntag, 28. September 2014

Tag 4, 28.September 2014, Radicofani - Acquapendente, 23km



28.09.2014, von Radicofani nach Acquapendente    24,5 km

Casa d´Accoglienza San Jacopo di Compostella, Spende

Bis auf die Kirchenglocke blieb die Nacht wunderbar ruhig und um sechs schälen wir beide uns aus den Schlafsäcken. Als wir kurz nach halb sieben die Herberge verlassen, dämmert es gerade und alle drei Bars sind noch geschlossen.
So geht es erst einmal ohne Frühstück hinaus. Die kleine Gasse ist noch menschenleer und die Straßenlaternen noch eingeschaltet. Schnell verliert man an Höhe auf dem Schotterweg Richtung Ponte a Rigo. Die Landschaft hat sich merklich verändert. Kaum noch gibt es Weinberge, dafür mehr und mehr bereits abgeerntet Felder und die von Wind und Wetter abgerundeten und begrasten Kalksteinformationen erwecken den Eindruck einer begrünten Kraterlandschaft. Schaut man sich um, thront das mittelalterliche Radicofani majestätisch auf seinem Hügel. Wir sind die Ersten, die heute Morgen gestartet sind, aber der Holländer Abraham, der es wohl in 95 Tagen von Canterbury nach Rom schaffen wird und der Franzose Gerard aus Toulouse, der von Nizza nach Rom läuft, sind uns bereits auf den Fersen.
Als der Schotterweg dann in Serpentinen bergab führt, passiert es, ich rutsche aus und stürze, die Knien bluten, die Handflächen sind aufgeschürft und die Hose kaputt. Am Rucksack schließlich muss mich mein Mann wieder hochhieven, gar nicht so einfach. Abraham kommt hinzu, bedauert mich etwas und hofft, dass das Auf und Ab recht bald ein Ende haben wird. Vielleicht hätten wir doch warten sollen bis die erste Bar öffnet und gestärkt mit Cappuccino  und wenigsten einem süßen Teilchen den Tag beginnen sollen.
Zum ersten Mal kommen in mir Zweifel hoch, ob wir wohl Rom gesund und munter erreichen. So kurz vorm Ziel ausgeknockt zu werden, wäre echt blöd.
Es scheint aber nicht so schlimm zu sein und zügig wollen wir jetzt den nächsten Ort erreichen, in der Hoffnung auf eine Bar. In Ponte a Rigo gibt es auch eine, die laut Öffnungszeiten sogar sonntags ab 6.00 Uhr geöffnet hat, nur nicht heute. Mittlerweile ist die restliche Pilgergemeinde, bis auf unser italienisches Duo, auch eingetroffen und schiebt Frust. Die Trinkflaschen werden an der Wasserstelle aufgefüllt und die Männer, Gerad, Abraham, zwei Engländer, die wir noch nicht kennen, der Schweizer und Jochen aus Bielefeld, setzen ihren Marsch fort und nehmen die neu ausgeschilderte Strecke über Proceno. Diese ist aber fast doppelt so lang wie die alte, die einige km auf der Via Cassia, also der SR2 entlang geht. Das sollte aber heute, am Sonntag, kein Problem sein, zumal einige km parallel die alte Via Cassia völlig verkehrsfrei verläuft.
Wir bleiben also mit der jungen Berlinerin Claudia zurück, auch sie zieht es heute vor, nicht unnötige km zu machen, ist sie doch gestern gemeinsam mit dem Schweizer das ganze Stück San Quirico – Radicofani gelaufen und völlig malate angekommen. Ich hätte diese 33 km-Etappe mit dem schattenlosen Aufstieg nicht geschafft.
Auch heute meint es der Planet wieder gut mit uns und je näher man Rom kommt, um so wärmer wird es. Wir sind ja nun schon in den Monaten April, Mai und Juni gelaufen, aber so geschwitzt wie jetzt, Ende September haben wir noch nicht.
Claudia also beschließt, mit uns zu gehen und berichtet, dass sie 29 ist, ihren Job in einem Ingenieurbüro einfach hingeschmissen, Wohnung und Auto verkauft, ihr restliches Hab und Gut bei den Eltern eingelagert hat und jetzt von Zürich nach Rom läuft, wie es anschließend weiter geht, weiß sie noch nicht, vielleicht nimmt sie noch die Via Francigena Süd unter die Füße, wettertechnisch müsste das noch klappen. Innerlich bewundere ich ja solche Menschen, die einfach einen Schlussstrich ziehen können und frei sind für etwas Neues, mein Verstand allerdings weigert sich da immer etwas. Auf jeden Fall wirkt sie sehr selbstbewusst und als wir ihr zu langsam sind, zieht sie alleine weiter. In ihrem Alter hatten wir auch noch andere Prioritäten.
In dem kleinen Dörfchen Centono, durch welches der Weg mit der alten Beschilderung verläuft, entdecke ich eine verlassene Herberge mit einem verblichen Schild, das Gruppen und Pilger willkommen heißt. Am Ortsausgang finden wir schließlich ein Restaurant, das um diese Uhrzeit zwar noch geschlossen hat, dennoch versorgt uns der nette junge Besitzer mit Cola, Wasser, due grande Cappuccini und abgepacktem Eis und wir können die nassgeschwitzten T-Shirts in der Sonne trocknen.
Bis Acquaqpendente sind es noch etwa sieben km und kurz bevor wir wieder auf den „richtigen“  Wanderweg stoßen, treffen wir wieder das Versorgungsauto der Amerikaner. Der kleine Kellner grüßt wieder freundlich und ein amerikanischer Edelpilger begleitet uns bergauf und textet mich zu, er hat nämlich vor einigen Wochen eine Wine-Tour durch Deutschland gemacht und bewundert den Moselweine, worauf ich ihm empfehle, in Montefiascone den Est.Est.Est. zu probieren, ohne zu verraten, dass der Herr Fugger sich dran tot soff.  Irgendwann hängen wir ihn ab und erreichen den Ortseingang.
Das Spannendste unter anderem am Pilgern, finde ich, ist die tägliche Unterkunftssuche, man weiß nie was auf einen zukommt. Heute sind wir im Convento Cappuccini angemeldet. Dazu muss man zunächst durch die ganze Stadt und zu guter Letzt nochmals einen Stationenweg recht gewaltig bergauf.
Mittlerweile beherrscht auch mein Mann den Spruch für die Gegensprechanlage : „Buona sera, Signora, siamo tedesci pellegrini.“ Und ratzt fatz geht der Summer, wir stehen in einem winzigen, sonnendurchfluteten Klosterhof und die kleine Schwester Livia begrüßt uns. Das Erste, was sie uns zeigt, sind die Wäscheleine im Garten und das Klammerkörbchen. Dann die Küche und wie der Gasherd funktioniert, anschließend bekommen wir ein Zimmer zugewiesen. Wir sind bis jetzt die Einzigen. Ich bitte sie schnell noch, für uns in Bolsena im Kloster zu reservieren und als die Schwester am anderen ende wissen will, wann genau wir denn ankämen, verdreht Livia die Augen und staucht ihre Kommilitonin zurecht, na wann schon, das sind zwei Pilger, nachmittags.
Es ist jetzt um sechs und wir sind immer noch die einzigsten Gäste hier, sitzen im Klostergarten und schreiben, naschen von den vergessenen Weintrauben an den Reben und bewundrn drei winzig kleine Kätzchen, die gerade liebevoll von der Nonne gefüttert werden. Die Sonne scheint immer noch und es ist richtig friedlich hier oben.

Erkenntnis des Tages: Wenn Frau hinfällt muss Mann helfen !


Tagesvideo

Start - morgens halb 7 in Radicofani

wir verlassen das Städtchen 

Sonnenaufgang

noch 147km bis Rom...

... das wird schon ! (Kerstins Knie nach dem Sturz)

ciao Toscana, salve Lazio

idyllisch gelegen - unser Zimmer im Convent

Outdoor Dusche im Klostergarten
Nur die Harten duschen im Garten !

Klosterhof



4 Kommentare:

  1. Ja was lese ich... Ein fieser Sturz. Kerstin, meine Gute. Du mußt mir NICHT alles nachmachen. Zum Glück war der Hans Jürgen an Deiner Seite. Ich hoffe sehr, das es rasch verheilt und Du bis Rom durchhältst. Stellt doch mal von dem Maleur ein Bild ein.
    Jetzt hab ich mir noch ein wenig über Streetview den Ort angeschaut und lese auf Ecke Via Vittorio Veneto / SR2 ein dickes fettes Schild Via Francigena. Welch ein Luxus. Davon haben wir 2008 nur geträumt. Eure Unterkunft habe ich auch gefunden. Wirklich ein satter Anstieg zum Schluß des Tages. Aber wahrscheinlich mit einer göttlichen Aussicht.
    Ich singe jetzt noch ein Heile, heile Gänschen für Kerstin und sende Euch viele liebe Grüße durch die Nacht.
    Eure Alke-Brigitte

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  2. Natürlich erhaltet ihr Rom gesund und munter. Ich bin auch ein paar Mal gefallen der Sommer. Blutungen Knie, Schürfwunden, aber es kommt immer gut.
    Morgen Bolsena, übermorgen Montefiascone und dann Viterbo. Alle wunderschönen Orten/Städten. Ich hätte gern entgehen lassen.
    Everdiene

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  3. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  4. Hans-Jürgen, Ich habe auch eine E-Mail geschickt mit Informationen. Everdiene

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