Freitag, 3. Mai 2013

Tag 3, 02.05.2013, von Santhia nach Vercelli, 29 km



Posto Tappa Santhia  Ü 10,- p.P.

Gestern Abend sind wir in die von Angelo empfohlene Spaghetteria mit unseren 10,- Euro-Gutscheinen.  Klar, dass man da nicht sehr freundlich begrüßt wird. So bekommen wir ein Menü bestehend aus Nudeln mit Tomatensoße und Hühnchen mit Salat Wein, Wasser und Kaffee.
Um 21.00 Uhr fallen wir dann in die Betten. Da wir allein in der Herberge sind, räumen wir kurz um und stellen zwei Doppelstockbetten nebeneinander, in die beiden unteren legen wir uns dann und können uns so mit zwei Schlafsäcken zudecken. Es ist sehr kalt in den Gemäuern. Das schreibe ich dann auch ins Gästebuch.
Trotzdem schlafen wir gut und um fünf stehen wir auf. Die Vögel zwitschern schon, es ist aber noch recht dunkel. Am Morgen bringen wir das Inventar wieder in den Ursprungszustand, dabei entdecken wir auch einen Ventilator und viele Dosen Mückenspray, also muss es hier im Sommer tatsächlich sehr heiß und blutig zugehen.
Wir werfen 20,-Euro in die Donation-Box, denn 10,- Euro Spende pro Person sollten es doch bitteschön mindesten sein, sagt eine Aufschrift.
Um 6.10 Uhr verlassen wir Santhia Richtung San Germano Vercellese. Das „Schlüssel-Café“ öffnet erst weiter  um acht, zu spät für uns, da doch 28,6 km bis Vercelli zu erlaufen sind.
Wir gehen so früh am Morgen auf der SS143, der Verkehr ist noch verträglich zumal mehr Autos Richtung Vercelli unterwegs sind. Rechts und links große Seen, geflutete Reisfelder. Als dazwischen ein Schnellzug auszumachen ist, sagt mein Mann:  „Schau mal, wenn wir erst da drinnen sitzen, haben wir es geschafft.“
Nach 7 km haben wir gegen halb acht San Germano Vercellese erreicht, versorgen uns in der Alimentari mit einigen Lebensmitteln, denn auf den bevorstehenden 20 km kommt keine Ortschaft mehr.
Vor dem Lebensmittelladen spricht uns eine ältere Señora an, wir verstehen sie leider nicht, outen uns als deutsche Pilger nach Rom und sie kichert und klopft meinem Mann auf die Schultern.
Der Ort ist klein, wenig einladend, mit Kirche, Piazza und Bar. Wie immer.
In der Bar frühstücken wir und machen uns nach einer Stunde auf den Weg. Noch 19,9 km bis Vercelli durch die Reisfelder liegen vor uns, die aber sind total überflutet und die Dämme, auf denen normalerweise der pilgergeschützte Weg verlaufen sollte, ist ebenfalls geflutete oder sehr matschig.
Einige Autofahrerinnen hupen und winken lächelnd, also ist es doch ein Gruß für Pilger.
Ansonsten scheint die Spezies Pilger hier nichts Neus mehr zu sein, leuchtet doch von jeder Straßenlaterne ein kleiner Wegweiser.
Es bleibt uns gar nichts weiter übrig als die Straße zu nehmen. Der Seitenstreifen ist breit genug, nur bei entgegenkommenden LkWs wird es etwas gefährlich. So kommen wir recht schnell voran und als es nur noch 7 km bis Vercelli sind, hört dieser Seitenstreifen auf. Jetzt wird es wirklich gefährlich. Wir müssen runter von der Schnellstraße, gehen zwei Kilometer bis zu dem kleinen Örtchen Montonero, in dem es übrigens eine sehr nette kleine Trattoria gibt und auch eine Wasserstelle für Pilger.
Von hier aus müssen wir wohl oder übel einen Damm zwischen den Feldern begehen, die Wirtsleute können uns aber nicht sagen ob der Weg unter Wasser steht, es wäre fatal fünf km umsonst zu laufen. Vor uns können wir frische Spuren ausmachen, es muss also heute schon jemand hier lang marschiert sein, ich kann aber weit und breit keinen anderen Pilger sehen. Wie fast immer sind wir mal wieder allein unterwegs.

Mittlerweiler ist es auch sehr heiß geworden und aufgrund des vielen Wassers um uns herum auch mächtig schwül.
Es ist schon beängstigend, so zwischen den noch unter Wasser stehenden Reisfeldern entlang zu wandern und zu wissen, irgendwo kann es einfach nicht mehr weiter gehen.
Es dauert noch sehr lange bis wir so endlich den südlichen Stadtrand von Vercelli erreichen, und es dauert fast nochmal genau so lang bis wir die Wohngebiete bis zum Convent Biliemme durchschritten haben. Das ist unser heutiges Ziel.
Schleichend erreichen wir 15.10 Uhr das Convent am süd-östlichen Ende der Stadt.
Wir klingeln und rasseln an der Gegensprechanlage unsren Spruch „siamo tedesci Pellegrini“ herunter.  Eine resolute Frauenstimme erklingt und der Türsummer geht.
Hinter der Tür stapeln sich Tüten mit Wäsche. Langsam steigen wir eine gekachelte Treppe hinauf und stehen in einem  langen Korridor.  Eine kleine korpulente und sehr ungepflegte Frau lässt einen Schwall von Worten auf uns herniederprasseln, wir verstehen erst mal gar nichts bis schließlich die Putzfrau herzueilt und auf ihren Ringfinger deutet, ah , man will wissen, ob wir verheiratet sind.
Meinen Ehering habe ich in den Achtzigern in einem Waschraum eines Campingplatzes im Riesengebirge liegen lassen, seit dem trägt mein Mann auch keinen mehr, also  erklären wir mit ebenso einem Wortschwall, dass wir, wie es sich gehört einander angetraut sind und dass seit mehreren Jahrzehnten. Angela, so heißt  die Chefin, und die Putzfrau wollen es uns mal glauben und wir bekommen Zimmer Nr. 5 mit einem Doppelbett. Ein sehr einfaches Zimmer. Schlafsack und Handtuch muss man selbst mitbringen.
Angela ist eine Marke für sich, ihr Alter ist schwer zu schätzen, was einem zuerst auffällt sind ihre ganz, ganz, ganz, ganz dicken Brillengläser, sie hat einen ungepflegten Wuschelkopf, einen Damenbart und fast keine Zähne, trägt eine dunklen Jogginganzug mit viel zu langen Ärmeln und hat hier alle im Griff, uns auch. Sie bittet uns in ihr spartanisches Büro, Personalausweis und Pilgerpass sind mitzubringen. Weil sie so schlecht sieht, buchstabiere ich ihr unsere Geburtsorte.
Weil sie so schlecht sieht, landet der Stempel statt im Pilgerpass dann  zum Teil auf dem Tisch. Nicht schlimm. Aber die 10,- Euro pro Person sind bitteschön gleich zu entrichten.  Auf das obligatorische Foto lässt sie sich auch mit viel Bitten und Betteln nicht ein, wir sollen die Putzfrau dazu nehmen.  Schade.
Wann wir frühstücken möchten, will sie wissen. Als wir 7.00 Uhr auf einen Zettel schreiben, schlägt sie beide Hände über dem Kopf zusammen und bietet und  7.30 Uhr an,  ist auch okay. Danach geht es zur Toiletten- und Duschbesichtigung, die Putzfrau gangauf, gangab immer mit dabei.
Ah, rauchen ist natürlich verboten und um neun ist Umschluss, da hat man im Hause zu sein.
Erst nach der Hausführung erschließ sich mir der Sinn des Conventes und auch der Tüten am Eingang, dann auf den langen Fluren steht, auf Deutsch gesagt, Gerümpel.
Vom Flur aus kann man in offene Zimmer sehen, darin wohnen alte Leute, offensichtlich ist es eine Heimstatt für Bedürftige und Angela herrscht über ihr Wohlsein und das der Pilger.
Die Duschen sind sauber  und nach dem Frischmachen wollen wir Vercelli erkunden.
Bis zur Kathedrale ist es zu weit. Vercelli, die Reishauptstadt Europas, ist nicht besonders schön, viel Schmutz, viel Verkehr, keine Gelateria.
Jetzt sitzen wir in einem kleinen Zimmer im Convent, das Mobiliar aus Spenden zusammen gestückelt und über mir hängt ein Foto von Padre Pio. Die anderen Heiligen kenne ich nicht.
Draußen stürmt ein mächtiges Gewitter und morgen geht es nach Robbio.

Erkenntnis des Tages: Wärme braucht der Mensch.



Posto Tappa

rechts und links Reisfelder

und hier sollte man nicht von der Straße abkommen 

 

1 Kommentar:

  1. Hallo Pilger,
    ich kann mich noch gut an die Strecke zwischen Santhia und Vercelli erinnern. Der Marsch die Straße entlang ist wirklich lebensgefährlich, aber durch die Reisfelder zu gehen ist ein großes Risiko, dass man irgendwann vor einem unüberwindlichen Wassergraben steht. Im Juni waren die Blutsauger(Stechmücken)trotz der angezogenen Regenjacke mit übergestülpter Kapuze nicht auszuhalten.
    Aber ihr habt es ja geschafft. Ich habe im Seminario in der Nähe des Domes übernachtet, war sehr gut.
    Ihr seid ja hart im nehmen.
    Hermannus Brennerus
    aus Gersbach

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