06.09.2024 Vauvert – Gallargues-le- Montueux 16 km
Auch diese Nacht verlief bis auf ein paar Ibuprofen ruhig und nach echt langen Wandertagen hat man keine Zeit für Kopfkino, man findet schnell in den Schlaf. Frühstück war für 8 Uhr ausgemacht und wir hatten eigentlich vor, wie gewohnt, in einer Bar einen Kaffee zu trinken und ein Croissant zu essen. Richard macht uns aber noch Kaffee, stempelt die Pilgerpässe ab und erzählt uns, dass er in ein paar Jahren, wenn er in Rente ist, auch vor hat, nach Santiago zu pilgern. Er verabschiedet sich von uns, wir dürfen in Ruhe packen und er meint, sein Haus ist auch unser Haus, wir sollen den Schlüssel dann in den Briefkasten werfen.
Der heutige Tag soll nicht so lang sein und wir schlenkern gemütlich aus der Stadt heraus. Es ist bewölkt. Anderen Pilgern begegnen wir nicht, obwohl wir uns brav an die Markierungen halten. Und das muss man hier mal sagen, die Ausschilderung ist 1a, man kann sich gar nicht verlaufen, um so verwunderlicher ist es, dass man am Zielort Pilgern begegnet, die wir den ganzen Tag weder vor noch hinter uns zu Gesicht bekommen haben. Heute ist die Strecke zwar auch wieder von Weinbergen geprägt, aber mehr und mehr auch von landwirtschaftlich genutzten Flächen, Melonen- und Zucchinifeldern, Hirse, Artischocken. Sitzgelegenheiten sucht man wieder vergebens aber wir durchwandern wenigsten einen Ort, in der Hoffnung, dort was trinken oder ganz und gar mal wieder mittags essen zu können.
Und mit 16 km ist es ja auch nicht so weit. Landschaftlich gibt die Strecke noch weniger her als gestern, aber wir sind irgendwie besser drauf. In Codognan treffen wir zur Mittagszeit ein, suchen das laut google geöffnete Cafe, das allerdings vom Äußeren her schon länger nicht mehr bewirtschaftet ist und fragen schließlich eine junge Frau, wo und ob man hier überhaupt irgendwo einkehren könnte. Sie erklärt mit Hilfe des google Übersetzers, dass wohl im nächsten Dorf eine große Bäckerei sei und es mit dem Auto 5 min wäre, bis sie mitkriegt, dass wir eigentlich zu Fuß unterwegs sind und anbietet, uns hin zu fahren. Die mittlerweile schon lange Pilgerschaft hat uns eines gelehrt, angebotene Hilfe dankend anzunehmen, denn einem anderen Pilger, der sie dringender bräuchte als wir jetzt, würde sie dann vielleicht nicht mehr angeboten werden. Und außerdem liegt die Bäckerei an unserem Weg. Zwei Pilger, zwei Rucksäcke und ein langer Pilgerstab zwängen sich also in den kleine Renault und ruckizucki sind wir an einer großen Bäckerei mit Innenhof, leckeren Pizzen und einer großen Kuchenauswahl. Davor steht der französische Hühnerfred und während ich mich mit einem Stück Pizza zufrieden gebe, überkommt es meinen Mann, denn an Gegrilltem kommt er nicht vorbei, die Broiler werden hier allerdings nur im Ganzen angeboten, so kauft er sich eine große Bratwurst, das Günstigste vom Grill, Andouillette so sagte der Verkäufer, die dann aber mit Innereien und nicht wie er glaubt, mit Hühnchen gefüllt ist. Also teilen wir die Pizza, stärken uns mit Sahnetörtchen und Milchkaffee und brauchen danach eine Weile, um wieder in Schwung zu kommen. Über Feldwege und durch ein großes Industriegebiet erreichen wir schließlich Gallargues. Heute wollen wir mal nicht in einer privaten sondern in der kommunalen Pilgerherberge unterkommen. Ich habe gestern eine Mitarbeiterin des Tourismusbüro hier anrufen und reservieren lassen. Das war aber nicht nötig und die Tür steht immer offen, sagte man. So und jetzt überholen uns plötzlich wie aus dem Nichts der große Mann und die zierliche Frau von gestern, ziehen an uns vorbei und marschieren Richtung Herberge, weiter vorn sehen wir noch zwei weitere Personen mit großen Rucksäcken und mein Mann fasst sofort den Entschluss, heute dort nicht zu schlafen. Ich versuch zu schlichten und bringe ihn zumindest soweit, sich das Ganze doch erst mal anzusehen. Ein bisschen neugierig bin ich schon. Wo jetzt allerdings wieder die vielen Pilger herkommen, bleibt nach wie vor ein Rätsel.
Als wir vor der Herberge stehen, kommt uns auch noch Tristan entgegen. Die Pilgerherberge ist neben einer stillgelegten Turnhalle untergebracht, es gibt einen großen Innenhof und man kann da einfach reingehen. Mein Mann bleibt am Eingang stehen, ohne den Rucksack abzunehmen, kehrt er auf den Fersen um. Der Schlafsaal ist echt klein, mit drei Doppelstock-und einem Einzelbett ist es ziemlich eng darin. Wir drei, Tristan und wir beide, das ist annehmbar und würde ihm auch nichts ausmachen. Der große Mann und die kleine Frau sind nicht hier. Aber wer hat da die untersten Betten mit seinem Kochgeschirr schon okkupiert ? Ein junger Bursche mit bunten Tatoos im Gesicht, einer Träne und einem Mond und so was, kommt uns aus dem Waschraum entgegen. Mit dem nächtige ich heute nicht in einem Raum. Ich will den Waschraum besichtigen, er hält die Tür zu, der ist gerade besetzt. Also werfe ich einen Blick in die Küche, sauber, ordentlich, großer Tisch, saubere Tischdecke. Mein Göttergatte unterdessen sitzt im Hof und quält schon booking.com.
Jetzt scheint der Waschraum frei zu sein, ich will ja nur mal noch einen Blick in die Dusche werfen. Ach, wer steht denn hier, Madmoiselle Grüner Elefant, barfuß, dreht sich gerade Lockenwickler in die Haare.
Ich versuche mal ein Gespräch mit ihr, frage , ob sie pilgert und auch nach Santiago will, sie dreht stoisch mich anschauend ihren großen Lockenwickler in den Ponny und antwortet immer mit „oui“, nur das. Ich weiß nicht so recht, der Indianer mit seiner Gesichtsbemalung und sie müssen bekifft sein. Tristan blickt auch etwas verdattert. Mein Mann ist da schmerzfrei, das Thema hat er abgeschlossen, bucht ein kleine Ferienwohnung 100 m entfernt, die natürlich nicht einem Pilgerbudget entspricht, und wir schultern unsere Rucksäcke. Tristan kriegt das alles mit und fragt, ob wir nicht wenigsten den Pilgerstempel wollen, er tut uns ein bisschen leid und wir überlegen zunächst, ihn einfach mitzunehmen. Der junge Franzose stempelt unsere Pässe und wir verabschieden uns. Nun haben wir ja mit kurz spontan gebuchten Unterkünften über booking so unsere Erfahrungen vom letzten Mal und hoffen, dass es heute reibungsloser abläuft. Schnell ist die Adresse gefunden, allerdings benötigt man einen Code fürs Codeschloss, den kriegt man in der Regel vom Besitzer gemailt kurz bevor man eintrifft. Wir sind jetzt aber schon da und die Handys gleich leer. Kurzerhand bitte ich die Friseurin im gegenüberliegenden Coiffeur, die uns von booking übermittelte Telefonnummer anzurufen und den Code zu erfrage, das Ganze muss ich ihr aber erst mit meinen rudimentären Französischkenntnissen klar machen. Irgendwie klappt das auch. Englisch oder deutsch spricht hier kaum einer. Jedoch mussten wir jetzt bereits mehrmals feststellen, dass viele Einheimische Spanisch oder Portugiesisch anbieten. Das wiederum sprechen wir nicht. Die nette Friseurin ist clever, und ich mag clevere Menschen, sie lässt die beiden Damen im Salon mit der Farbe auf dem Kopf erst mal sitzen, und die haben auch Verständnis, kommt, mit ihrem Handy mit der Besitzerin telefonierend, mit zur Eingangstür, gibt mehrmals vergeblich den telefonisch übermittelten Code ein, diskutiert herzhaft mit der Vermieterin, und in Teamwork mit meinem Mann, der wie ein Panzerknacker sein Ohr ans Schloss hält, gelingt es, den Code zu knacken. Lange Rede, kurzer Sinn, wir haben eine ganze Wohnung für uns allein, duschen, machen uns breit, er geht Lebensmittel shoppen, kocht für uns, ich freue mich über die Waschmaschine und so gehen wir beide unserer haushaltstechnischen Lieblingsbeschäftigung nach. So geht auch pilgern.
Erkenntnis des Tages: Gemeinschaftsunterkünfte sind nichts mehr für uns !
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