07.09.2024 Gallargues – St. Christol 20 km
Die Idee, so auf die Schnelle das kleine Appartement zu buchen, war super. Mein Mann hatte wieder gute Laune, konnte im 300 m entfernten Lidl einkaufen, die nigelnagelneue Küche nutzen und ich die Waschmaschine. Das genossen wir dann auch und starteten heute Morgen recht spät.
Jedoch nicht, ohne nochmal beim Coiffeur die Nase rein zu stecken und uns für die kommunikative Unterstützung der netten Friseurin zu bedanken. Wir verlassen schnell den Ort über den Marktplatz und an der Stierkampfarena vorbei, die ab hier fast jeder auch noch so verlassenste Ort hat. In einer Gasse treffen wir zwei Frauen mit schweren Rucksäcken. Sie sprechen französisch und sind heute Morgen in Vauvert gestartet. Alle Achtung. Es weht ein warmer heftiger Wind und an einem Damm entlang sucht man wieder vergeblich Rastplätze, allerdings ist an der Wegmarkierung nichts auszusetzen. Der deutsche Wanderführer jedoch ist ziemlich veraltet, da stimmt fast nichts mehr. Wir entdecken die Reste der alten römischen Brücke und mein Mann bereut es , heute wegen des Windes nicht drohnen zu können, wäre die Brücke doch das Bilderbuchmotiv.
Und es stürmt wirklich sehr. Die Tage zuvor musste ich mehrmals das durchgeschwitzte Shirt wechseln und zum Trockenen an den Rucksack hängen. Heute lass ichs an, den Wind durchsausen und find es angenehm kühlend. Vom Dammweg muss der Wanderer unter einer Autobahnbrücke durch auf einen Feldweg wechseln und große Pfützen umgehen, also muss es ja doch mal ziemlich geregnet haben. Wir haben Klumpen von Schlamm an den Schuhen. Zwischen hohem Gras und windgeschützt sitzen die beiden Pilgerinnen und machen Pause.
Wir googeln, was das Zeug hält, um in einem der nächsten Orte ein geöffnetes Cafe zu finden. Vergeblich. Kurz vor dem Örtchen Villetelle überquert man den Fluss Le Vidourle und somit die Grenze vom Departement Gard ins Herault. Im Dorf wirbt ein großer Austeller für eine Patisserie.
Die hat sogar noch geöffnet und ist echt winzig, eine ältere Madame bietet in dem kleinen Laden leckere Torten und Törtchen an, vorm Haus auf der ebenso winzigen Terrasse stehen zwei Tische und an einem sitzt ein älterer Herr, mir fallen zunächst seine mit Schlamm beschmierten Wanderschuhe auf, bevor ich den Rucksack und auf dem seinem Tisch ausgebreitete französische Wanderführer wahrnehme. Auch ein Franzose, der uns aber in gutem Deutsch anspricht. Er will heute auch bis nach St. Christol und ist wie die beiden Frauen heute Morgen in Vauvert gestartet. Respekt. Ich bemerke, wie sich das Gesicht meines Mannes verfinstert. Im Nu quält er wieder sein Handy, wird nur in der ganzen Umgebung keine geeignete Unterkunft finden. Alls dann die beiden Pilgerinnen auch noch vorbei ziehen, geht seine Laune in den Keller. Schlafsäle und so sind nichts mehr für uns. Die nächsten beiden Orte, die wir durchwandern sind menschenleer, wie bei „12 Uhr mittags“ , der warme Wind hat die Mülltonnen umgeworfen, Fenster stehen offen und Gardinen wedeln heraus. Aber keine Menschenseele. Als es einen Hügel hinauf geht begegnen wir dann aber doch noch einem Ehepaar mit Hunden, ausgewanderte Luxemburger, mit denen wir prima deutsch kommunizieren, sie zeigen uns einen günstigeren Weg nach St. Chistol und erklären uns, das es der Mistral ist, der hier häufig weht, aber kaum Regen bringt, weil er die Regenwolken bis in die Cevennen treibt, die haben es dort dann immer nass. Auch die beiden Orte, durch die es jetzt geht, sind leer, die Kirchen geschlossen, die Häuser in den kleinen Gassen dem Verfall preis gegeben, außerhalb stehen aber feine kleine Einfamilienhäuser mit Kakteen am Wegesrand.
In einem der Orte überholt uns laut hupend ein Hochzeitskonvoi, das war so das Aufregendste heute. Sprudelte in Villettelle wenigstens noch der Dorfbrunnen, haben diese hier schon lange keine Wasser mehr gesehen. Wie immer scheinen die letzten paar km nicht enden zu wollen, Sonne, Wind, Asphaltsträßchen. Wir erreichen St. Christol und finden schnell die Pilgerherberge, checken mit Adleraugen die Einrichtung und Gäste, keine Indianer, nur Jerome, der Franzose aus der Patisserie ist hier, mein Mann gibt grünes Licht, wir bleiben. Es ist sauber, eine kleine Küchenzeile, ein wirklich sauberes Bad, und es gibt 4 Einzelbetten. Die kommunale Herberge wird von Ehrenamtlichen betrieben und Emile begrüßt uns, kassiert den Obolus und stempelt die Pilgerpässe ab.
Nach Duschen und Wäsche waschen, geht’s ins Dorf. Unsere Rucksäcke geben nicht mehr viel Proviant her und es ist Samstag Abend, mal abgesehen davon, dass es hier ehe keinen Supermarkt gibt. Sonst hätten wir kochen können. Ein Pizzabäcker bietet Pizzen und Yuffkas zum Mitnehmen an. Ich frage den Barbesitzer gegenüber, ob wir bei ihm die Pizza essen können, weil wir auch unbedingt etwas trinken müssen. Im Unterhemd sitzt er rauchend in seiner Bar und schaut im großen LED TV das französisch Bingo. Der Patrone gestattet es, mixt uns jedem einen halben Liter Panache und hat sogar zwei Messer zum Teilen der Pizza. Später kommt auch noch Jerome und eine französische Familie, die mit ihren Kiddis hier Uno spielen. So sieht hier das Dorfleben an einem Samstagabend aus. Wir drei kommen in der Herberge gut zurecht, reden wenig und liegen gegen neun in den Schlafsäck
Erkenntnis des Tages: Mistral heißt der Wind.
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