Mittwoch, 7. Mai 2014

Tag 4, 05.Mai 2014, Cassio - Berceto - Ostello della Cisa,


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05.05. von Cassio – Berceto – Ostello della Cisa, 20 km,

Ostello Cassio,  16,- € Ü, p.P.

Die ganze Nacht über lief der Katalytofen, wir schliefen aber tief und fest und kurz nach sechs heißt es Aufstehen. Schnell sind die Rucksäcke gepackt und wir machen uns Frühstück. Der Wirt, Andrea, wohnt nicht im Haus, die Pilger können schalten und walten und Kühlschrank und Gefrierschrank sind übervoll. So etwas habe ich bisher auch noch nicht erlebt, man kann sich nehmen, was man braucht und tut dann seine Offerte in ein kleines Schweinchen.
Den Gasherd hat mir Andrea gestern erklärt, obwohl wir uns fürs  Abendessen dann doch gemeinsam mit Christian für  die gegenüberliegende Pizzeria entschieden, wir brauchten den Wifi-Code und es gab einen Kamin.
Gern hätten wir dann auch noch mehr Fotos eingestellt, aber als wir dann feststellten das die Bar eine Karaokebar ist und der Wirt aus vollem Hals italienische Schlager mitsang und seine Frau dann auch noch mit einfiel, flohen wir.
Saßen dann noch eine Weile mit dem Bremer Pilgerpaar zusammen. Nein, ich nenne sie mal jetzt nicht Schnabbel und Gerd, so schlimm war´s nicht. Sie war ja wieder sehr gesprächig und er brachte kein Wort heraus. Mir klingen immer noch seine, wie ich fand, etwas arroganten Worte in den Ohren, als wir von der Furthen-Durchwatung berichteten „ Es gibt immer eine Straße.“ Das war aber auch das Einzigste, was ich in den beiden Tagen von ihm zu hören bekam.
Jedenfalls machen wir heißes Wasser für Tee und ich decke im Garten den Tisch.
Sie kommen dann auch noch hinzu, starten aber vor uns. Christian steht gerade auf als wir los wollen. Er ist schnell und holt uns bald ein.
Es ist super Wetter, strahlend blauer Himmel, Sonne und wir sind allein.
Die Organisatoren haben ab Fornovo am Weg so eine Art kleine weiße Meilensteine aufgestellt, in welche eine Terracottaplatte mit einem Pilgermännchen eingelassen wurde. Das sieht sehr hübsch aus und weist einem den Weg. Traurig aber ist es, dass an fast jedem zweiten Stein die Platten herausgebrochen wurden und man deutliche Spuren des Rowdytums erkennen kann.
In Castellonchio machen wir Pause an einer Quelle. Bisher sind wir die SS 62 gegangen, da sie nun aber große Bögen macht, ist eine Abkürzung ausgeschildert, die wir nehmen, keine 50 m hin, entwickelt die sich aber zu einem hässlichen Matschweg, tiefe Pfützen und rechts und links Dornengestrüpp, ein paar mal waten wir durch den Schlamm, dann bleiben meine Stöcke drin stecken und reiße mir einen Teller am Wanderstock ab. Wir kriechen durch den Dornenbusch, umdrehen wollen wir nicht, gehen über eine Wiese und erreichen kurz darauf wieder die Straße. Ab hier führt ein Wegweiser auf einen Hügel hinauf und in der Annahme, wir kürzen eine große Straßenschleife ab, stehen wir unverhofft auf dem Monte Marino (998m). Hatte man auf dem ganzen Weg ab Cassio bereits einen super Blick auf die Berge, die Wiesen, die kleine Dörfer, kann man es von hier oben erst recht genießen. Es ist wunderschön hier oben. Wir blicken auf eine über und über mit Gänseblümchen bestückte Wiese, gespickt mit lila und pinken Zwergorchideen.
Die Idylle wir jäh unterbrochen als zwei Eurofighter mit ohrenbetäubenden Lärm  durchs Tal jagen. Wir können es nicht fassen, die fliegen so tief, dass sie unter uns sind.
Der Abstieg ist völlig unkompliziert und wir wechseln zwischen Straße und Wanderweg hin und her. Sind die Wege zu verschlammt, geht es auf der Straße lang, macht diese große Schleifen, wird mittels Wanderweg abgekürzt.
Den nehmen wir dann auch kurz vor Berceto und gelangen an eine Pferdekoppel vorbei ins Städtchen. Daher können wir auch kein Foto vom Ortseingangsschild machen, welches auf den berühmten Sohn dieser Stadt, Enzo Ferrari, hinweist.
Am Brunnen in Berceto füllen wir unsere Wasserflaschen auf, er spendet übrigens kohlensäurehaltiges Wasser, die Einheimischen kommen mit ihren Sprudelkästen hier her und versorgen sich mit dem köstlichen Nass.
Mit Entsetzen stelle ich fest, dass mein kleiner Bernhardiner, ein Kuscheltier, das ich mir am Großen Sant Bernard gekauft hatte und das ich fein säuberlich in einem Plastikbeutel, damit er nicht schmutzig wird, am Deckelfach des Rucksacks befestigte, weg war, der Zippbeutel war leer. Auf dem Foto vom Monte Marino ist er noch zu sehen, also muss ich ihn zwischen dem Gipfel und Berceto verloren haben. Vielleicht auf den letzten Metern. Ich laufe nochmal bis hinter die Pferdekoppel. Nichts.
Als ich zurückkomme, sitzen in der Bar die Bremer, sie werden jetzt mit dem Zug nach Pontremoli fahren. Sie bekommt ihn nicht mehr dazu, bis zum Ostello zu laufen. Sie nehmen ein paar Stationen mit dem Zug, um pünktlich in Rom zu sein.
Interessiert mich jetzt nicht sonderlich, ich bin ganz einfach traurig und werde ganz ruhig. Wir ziehen aus dem Städtchen heraus, der Himmel zieht zu, wir versuchen so schnell wie möglich ins Ostello zu kommen. Wanderweg und Straße ziehen sich, und irgendwann, kurz hinter dem km 59 erscheint das rote Gebäude des Ostellos.
Christian ist schon da und Katharina, die Wirten, begrüßt uns herzlich und führt uns ins warme Gästezimmer. Man hat einen Ofen angeheizt, der mit dicken Holzscheiten gefüttert wird. Es ist wohlig warm. Nur mir ist nicht so warm ums Herz.
Ich überlege allen Ernstes, den Ruhetag in Pontremoli zu nutzen, um nach Berceto zu fahren und den Weg nochmal abzugehen, irgendwo muss er doch liegen.
Als ich nach dem Duschen meine haare am Ofen trockne, sehe ich draußen einen Mann vorbei laufen, dem wir in Bercoto an der Schule hinter der Pferdekoppel begegnet sind, er hat sehr freundlich gegrüßt.
Ich fasse all meinen Mut zusammen, gehe raus und spreche ihn an. Er erkennt mich auch wieder. Gemeinsam mit zwei Kollegen mäht er hier oben Rasen und bringt die Außenanlage in Schuss. Ichstottere deutsch-englisch-italienisch herum, ob er in Berceto wohne und demnächst nach hause fahre und dass ich einen piccolo dog am zaino (einen kleinen Hund am Rucksack) hatte und der ist auf dem Weg zwischen Monte Marino und Berceto verloren gegangen. Vielleicht wäre er so nett und nimmt mich mit hinunter, es ist ja noch hell und ich könnte nochmal suchen, rauf würde ich dann trampen.
Lange Rede, kurzer Sinn, Fausto, so heißt er, spricht kein englisch, hat mich aber verstanden, verfrachtet mich ins Auto, will wissen wie der Hund heißt, „Bernard“ sage ich schnell, er hatte keinen Namen. Während der 8 km hinunter versuche ich ihm klar zu machen, dass es ein Spielzeug ist.
Fausto ist selbst schon einmal die Via Francigena von Berceto nach Rom gelaufen und der hiesige Förster, Katharina, die Herbergsmutter, ist seine Frau.
Wir fahren also langsam die Straße ab und halten beide Ausschau nach einem kleinen weißen Hund. Dann erkenne ich die Stelle wieder, an welcher wir vom Weg auf die Straße kamen. Fausto parkt, und wir laufen beide von hier aus Richtung Monte Marino. Er ist sehr schnell und ich ohne Rucksack plötzlich auch. Flink wie ein Wiesel bin ich auch über die beiden Absperrungen an den Weidezäunen geklettert. Hier unten ist es immer noch sehr warm und sonnig. Ich laufe also ein Stück der Via Francigena, die ich heute schon einmal gegangen bin, zurück. Ich fasse es nicht.
Dann entdeckt Fausto ein kleinsn Rehkitz, das sich am Wegesrand ins Gras verkrochen hat. Leider haben wir beide kein Handy dabei, um ein Foto zu machen.
Jetzt schickt er mich allein weiter, denn er wird sein Auto holen und zum Berg fahren, ich soll hochsteigen und am Fuße des Monte wird er auf mich warten.
Ich ziehe also allein gegen den Strom, checke die Fallrichtung, wo nur  könnte er hingepurzelt sein. Plötzlich, ich kann es selbst noch immer nicht glauben, leuchtet etwas Weißes genau neben einer großen Pfütze. Nach uns schein niemand hier vorbei gekommen zu sein. Mir fällt irgendwie ein Stein vom Herzen. Ich greif den kleinen Hund, putz dem Dreck etwas ab und lauf zur Straße. Hier gehe ich Fausto entgegen und nach etwa 10 Minuten taucht er mit dem Wagen auf und ich steige ein. Als er das Kuscheltier sieht, bricht er in schallendes Gelächter aus. Deswegen habe ich so einen Aufstand gemacht? Auch wenn ich kein italienisch verstehe, verstehe ich ihn doch. Er lacht, dass ihm die Tränen kommen. Er dachte, ich ginge mit einem richtigen kleinen weißen Hund namens Bernard auf der Via Francigena und meine Kinder in Deutschland würden weinen, wenn der Hund weg ist.
In Zukunft, so meint er würde er anregen, im Souvenirladen am Pass kleine Plüschhunde zu verkaufen.
Jedenfalls bin ich glücklich, den kleine Kerl wieder zu haben, war er doch ein persönliches Geschenk an mich nach dem Aufstieg zum großen Sant Bernard und ein treuer Begleiter durchs Aostatal, die Poebene und den Apennin bis hier hoch.
Im Ostello angekommen stürmt er in die Küche zu seiner Frau, wir hören ihn immer noch lachen.
Katharina serviert uns Tortellini, Hühnchen und Salat und da mein Mann immer noch Aspirin Cocktails zu sich nimmt, teilen Christian und ich uns die Flasche Rotwein.
Plötzlich stürmt Fausto ins Zimmer und zeigt uns auf seinem Handy ein Foto vom Kitz, er ist doch tatsächlich nochmals hinunter gefahren, über die Weidzäune geklettert, um nach dem Tier zu sehen. Ich glaube, dem kleinen Reh wird in seiner Obhut nichts mehr passieren
Wir drei sind die einzigen Gäste heute. Obwohl es wieder ziemlich kalt im Schlafsaal ist, kann ich gut schlafen.
Morgen geht’s hinunter nach Pontremoli und wir erreichen die Toskana.

Erkenntnis des Tages: Wer sucht, der findet wieder.  


kleine Wegweiser entlang der Strecke


 auf dem Pilgerweg

Monte Marino (989m)

auf der VF kurz vor Berceto

 ein Schlafsaal im Ostello für uns ganz allein

Fausto, mein Held, und Katharina mit den Kindern Pietro und Paolo

mit Christian beim Abendessen

Wanted !

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